Montag, 10. Oktober 2016

Die extra Stunde

... oder peinlich, peinlich!


So wie vieles an unseren „dänischen“ Tagen sind auch Hin- und Rückreise in gewisser Weise ritualisiert. Mama Vogelsberger packt Taschen und Koffer und stapelt Berge von Zeug, was mitzunehmen ist, und ich expediere das ins Auto, viele Dinge auch einzeln, wie z. B. die Gummistiefel.
Ich frage mich dann immer, wie Menschen das machen, die mit dem Flieger unterwegs sind und alles in einen Koffer verpacken müssen. Bis das Auto beladen ist, bin ich gefühlte zweihundert Mal hin- und hergelaufen. Wenn der Flitzer vor der Haustür steht, ist das nicht so dramatisch, aber wenn das gut dreißig Meter sind wie bei unserem jetzigen Häuschen, dann sind das sechs Kilometer. Schon fast ein Triathlon, oder?
Ob man das alles braucht und deswegen mitnehmen muss? Na klar! Aber hinterher stellt man fest, dass mindestens siebzig Prozent davon ungenutzt blieben. Aber man muss ja für alle Eventualitäten gerüstet sein, von hochsommerlichen bis fast winterlichen Zuständen, von leichtem Wind bis Orkan, von … bis …
Uns jedenfalls kann kaum etwas überraschen. Die Taschen sind so schwer, dass ich sie kaum geschleppt kriege, trotz anhaltenden Trainings in der Muckibude.
Für die Heimreise dasselbe Prozedere rückwärts, nur, dass das ganze Zeug eine wundersame Vermehrung erfahren hat. Acht Gläser mit Marmelade aus „Den Gamle Fabrik“ (Solbær und Abrikos) und sechs Gläser Honig vom Bigård, und die Installationen, die auch noch unversehrt zuhause ankommen sollen, Schwemmholz für Anja. Aber ich bin ja fast ein Verpackungskünstler, Christo ist nix dagegen (der hätte doch seine „Floating Piers“ doch auch von Esbjerg nach Nordby bauen können).
Jedes Mal, wenn wir auf der Insel sind, frage ich mich, wie wir das früher geschafft haben, mit zwei Kindern und zwei Fahrrädern und all diesem Equipment.
Ritualisiert ist auch, dass wir am Rückreisetag um vier Uhr aufstehen, alle Restarbeiten erledigen, um dann um 06:50 Uhr die Fähre zu nehmen. Mama Vogelsberger hat immer etwas Mühe, die Kurve zu kriegen. Klar, es gibt ja noch so viel zu tun. Den Kühlschrank entleeren, der seit abends auf „abtauen“ steht, ihn cleanen, die Reste verpacken, … usf. Und ich immer hinterher, drängelnd, … damit sie rechtzeitig die Kurve kriegt.

Ja! Und das habe ich auch am letzten Samstag gemacht! Um 5 Minuten vor der vollen Stunde: „Du hast noch 'ne halbe Stunde!“, 10 Minuten nach der vollen Stunde: „Du hast noch eine viertel Stunde!“ Schließlich relative Hektik, das Frisieren gelang nur noch provisorisch, aber wir saßen auf Teufel komm raus um 5 vor halb im Auto, ich, schon recht gestresst, düste los. Und unterwegs – etwa auf halber Strecke – nahm ich den Fuß vom Gas. Ein Blick auf die Uhr im Auto hatte mir Erleuchtung verschafft. Wurde natürlich sofort gefragt „Wassen jetzt?“
Ach Gott, war mir das peinlich, das einzugestehen. „Wir sind eine Stunde zu früh, … es ist erst halb sechs, nicht halb sieben.“ Aus dieser Nummer gab es absolut keinen Ausweg, das war einzig meiner Dummheit geschuldet. Denn Mama Vogelsberger trug keine Armbanduhr; die Schließe derselben hatte ihren Geist aufgegeben. Na ja, Zeitgefühl hätte vielleicht helfen können, aber das kommt einem im Stress mitunter abhanden.
„Was tun?“, sprach Zeus. Zum Haus zurück? Nein, also zur Schlüsselabgabe und zur Fähre. Und siehe da, heureka, um 06:00 Uhr gab‘s auch schon eine. Statt um sieben wie geplant ging’s deswegen schon um zehn vor sechs in Esbjerg los.

Man könnte meinen, es sei eine Fügung des Schicksals gewesen. Denn die 50 Minuten Zeitgewinn führten wohl dazu, dass wir die eklig langen Baustellen bis Hamburg und den Elbtunnel zu einer Zeit passierten, in der noch nicht viel los war, also kein Stau, kein Stop-and-go. Aber auf den Gegenfahrbahnen vor Hamburg Richtung Norden: Mehrere Megastaus, bis zu 17 km lang.
Keine Schadenfreude, das macht man nicht; eher Erleichterung, dass es nicht uns getroffen hat.
Aber im Knüllwald nach der Mittagspause an der Raststätte Hasselberg West und später in der Region Frankfurt erwischte es uns doch; aber zähfließend, insgesamt vielleicht 20 Minuten Zeitverlust.
Das Ding am Knüllwald: Baustelle, sogar üppige drei Spuren; nur ein einziger kleiner Pkw hatte eine Panne, und schon ging fast nichts mehr, obwohl noch zwei Spuren frei waren. Ob man das nicht besser in den Griff bekommen kann? Wir brauchten ca. 15 Minuten, bis wir das Pannenfahrzeug passierten, ... und noch kein Helfer oder Abschleppfahrzeug oder Polizei war da!
Ansonsten verkneife ich es mir, über die Fahrt zu berichten. Es würde zu einer „Anekdote über die Senkung der Verkehrsmoral“ geraten.

Ein klasse Schnappschuss, der fliegende Spatz. Gell?
Die dümmlich gewonnene Stunde, sie hat uns gar geholfen.
Ihr lieben Leute, seid nachsichtig mit euch und jenen in eurem Umfeld. So was kann halt mal passieren, und ein Unglück war’s ja nicht. Hinterher mussten wir darüber lachen.

Die Mittagspause im Knüllwald hat uns noch ein besonderes Vergnügen verschafft. Eine Heerschar von Spatzen begrüßte uns in Deutschland, und zur Belohnung haben wir sie gefüttert, mit frischem Brötchen.
Sie pfiffen es nicht von den Dächern, aber vom Boden: Dahoam!

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